Krieg in der Ukraine - "Die Situation in Bachmut ist die Hölle" - Wiener Zeitung Online

2023-03-08 14:50:18 By : Ms. Candy Tang

Alex Babenkos Instagram-Account ist ein Tagebuch des Schreckens: 3. Februar 2023: "Bachmut ist die Hölle und das Tor zur Hölle schließt sich. Alle Straßen, die nach Bachmut führen sind zerstört. ... Sie beschießen die Stadt von Norden, von Osten und von Süden. Unter diesen schrecklichen Umständen kämpft die ukrainische Armee weiter und neue Soldaten treffen für die Schlacht um Bachmut ein. Ich war heuer bereits mehr als zehnmal in Bachmut, aber so schlimm war es noch nie. Alle 30 Sekunden hört man eine Explosion ganz in der Nähe. Wir sind nahe der zerstörten Brücke zwischen Chromove und Ivanivske, überall um uns geht Artillerie nieder, Ivanivske brennt. ... Ich werde nun Bachmut eine ganze Weile nicht wiedersehen. Die Stadt ist ab jetzt für Journalisten gesperrt, es gibt keine sichere Route mehr in die Stadt, die Schlacht tobt weiter. "

27. Februar 2023: "Bachmut brennt, die ganze Stadt ist in Rauch eingehüllt. ... In nur einem Straßenblock brannten gleich drei Feuer. Der Granatenhagel ist absolut konstant - ohne Pause."

24: Februar 2023: "An der Einfahrt in die Stadt - ein ausgebrannter Minibus, vor dem zwei Leichen liegen. Raketen - vom Typ Smerch und Grad - gehen überall nieder."

Babenko - er fotografiert unter anderem für Reuters und war als Field Producer für Getty-Images und die "Wiener Zeitung" tätig - war einer der letzten Journalisten, der in Bachmut arbeiten konnte. Seine Beobachtungen liefern die Froschperspektive eines grausamen Krieges. Die "Wiener Zeitung" besuchte Ende Februar Bachmut. Die Headline: "Wie lange hält die Festung Bachmut?" Bereits damals wurde über einen bevorstehenden Rückzug der ukrainischen Truppen aus der Stadt spekuliert, auf den Anhöhen in westlicher Richtung waren die Schanzarbeiten in vollem Gang, hunderte Meter wurden mit Baumaschinen Schützengräben im Zickzack-Kurs gegraben, an der Geländekante sah man frisch betonierte MG- und Granatstellungen, die auch gegen Artilleriebeschuss gut geschützt sind. Sollten die ukrainischen Truppen Bachmut aufgeben, sind dort die nächsten Verteidigungslinien schon vorbereitet.

In den vergangenen Wochen hat sich die Schlinge um die Stadt immer weiter zugezogen: Der britische Militärgeheimdienst berichtete, dass die ukrainische Armee in Bachmut unter immer stärkerem Druck stehen würde, es gebe "intensive Kämpfe in der Stadt und um die Stadt herum". Gleichzeitig berichteten die ukrainischen Behörden, dass es mittlerweile auch Straßenkämpfe im Osten und Nordosten der Stadt geben würde.

Das seit sieben Monaten umkämpfte Bachmut ist durch den Fluss Bachmutovka geteilt, die russische Armee und Einheiten der Söldnerarmee Wagner rücken immer weiter in den Ostteil der Stadt vor, während der Westteil der Stadt weiter von ukrainischen Truppen gehalten wird.

Für Russland wäre die Einnahme der Stadt der erste Triumph in einer nach der Mobilmachung Hunderttausender Reservisten angekündigten Winter-Offensive. Für Moskau ist Bachmut der Schlüssel zur vollständigen Eroberung des Donbass - einem der wichtigsten Ziele Russlands in dem am 24. Februar 2022 begonnenen Krieg. Denn von Bachmut könnten die russischen Truppen weiter an die Städte Kramatorsk und Slawijansk heranrücken, vor allem Kramatorsk ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt und ein regionales Verwaltungszentrum. Doch bisher ist es dem ukrainischen Militär offenbar gelungen, die Angriffe auf Bachmut abzuwehren.

Wolodymyr Nasarenko, ein ukrainischer Kommandeur in Bachmut, erklärte auf dem Kurznachrichtendienst Telegram, die Verteidigung halte, auch wenn die Lage kritisch sei. "Die Situation in Bachmut und Umgebung ist ziemlich die Hölle, wie auf der ganzen Ostfront." Aber es habe keinen Befehl zum Rückzug gegeben.

Offenbar hatte es zuletzt Unstimmigkeiten zwischen Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Armeeführung über das weitere Vorgehen in Bachmut gegeben: Nach einer Lagebesprechung am Montag zwischen Selenskyj, Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj und dem Chef der Landstreitkräfte, Olexander Syrskyj, sei aber beschlossen worden, Bachmut zumindest vorerst weiter zu halten, wie es in einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters heißt.

Unterdessen gibt es offenbar zunehmende Spannungen zwischen dem Chef der russischen Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, und dem russischen Verteidigungsministerium. Am Wochenende erklärte Prigoschin, seine Truppen fürchteten, die Regierung in Moskau wolle sie zum Sündenbock machen, sollte Russland den Krieg verlieren. Prigoschin kritisiert seit Wochen, seine Truppen würden nicht ausreichend mit Munition beliefert, er bezichtigte Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow sogar des Hochverrats, weil sie absichtlich den Wagner-Einheiten keine Munition zukommen ließen und ihnen auch beim Lufttransport Hilfe verweigerten. Nun erhöhte Prigoschin den Druck erneut. "Wenn Wagner sich jetzt aus Bachmut zurückzieht, wird die gesamte Front zusammenbrechen", sagte der Söldner-Chef. "Die Situation wird für alle militärischen Formationen, die russische Interessen schützen, nicht schön sein."